Kurzbiographie
Hans G.A. Hellmann (1903-1938)

Hans Gustav Adolf Hellmann, einer der Pioniere der Quantenchemie, wurde am 14.10.1903 in Wilhelmshaven geboren. Er studierte zwischen 1922 und 1929 vor allem an der TH Stuttgart Physik (u.a. bei Ewald und Fues). Als Student fertigte er in Kiel, wo auch Kossel lehrte, unter Anleitung von Zahn eine experimentelle "Schwerpunktsarbeit" an über Dielektrizitätskonstanten von Salzlösungen. Damit konnte er Vorhersagen der damals aktuellen Theorie von Debye, Hückel, Onsager und Falkenhagen bestätigen. Seine Diplomarbeit über radioaktive Präparate entstand bei Otto Hahn und Lise Meitner am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin. Im Alter von 25 Jahren promovierte er in Stuttgart zu Dr.-Ing. mit einer experimentellen Untersuchung zum Ozonzerfall. Während dieser Zeit lernte er Viktoria Bernstein kennen, die als jüdisch-ukrainische Waise im Hause seines Doktorvaters, Prof. Regener, lebte. Das junge Paar verliebte sich und heiratete; und zum 26. Geburtstag von Hellmann wurde ihnen am 14.10.1929 ein Sohn, Hans Hellmann jr. geboren.

Hans G.A. Hellmann war in der Zwischenzeit Assistent für Theoretische Physik an der TH Hannover geworden. Dort war die Chemie mit Biltz, Klemm und Fischer hervorragend vertreten, und das Zentrum der Quantenphysik in Göttingen war nur 100 km entfernt. Hellmann beschäftigte sich nun mit der Deutung der chemischen Bindung und mit Moleküleigenschaften im Rahmen der modernen Quantenmechanik. Zunächst zeigte er - ausgehend von der Dirac- Gleichung - dass der Spin nicht bloß eine scheinbare Eigenschaft gebundener Elektronen ist. Dann entwickelte er das semiempirische "Diatomics in Molecules"-Verfahren, mit dem er einige offene Fragen zur Molekülstruktur klären konnte. Zusammen mit dem Physikochemiker Jost bemühte er sich um eine für Chemiker verständliche Erklärung chemischer Bindungsphänomene (Z. Elektrochem. 1934, 40:806; 1935, 41:667). Auf der Grundlage seiner bedeutensten Arbeit (Z.Phys. 1933, 85:180), in der er das molekulare Virial-Theorem und das Kraft-Theorem ("Hellmann-Feynman-Theorem") herleitete, konnte er die physikalische Natur der kovalenten Wechselwirkung herausarbeiten. Sein auf der Grundlage dieser Arbeiten gestellter Habilitationsantrag wurde abgewiesen, und er erhielt am 24.12.1933 die Kündigung der Physik-Dozentur an der Tierärztlichen Hochschule, die er inzwischen inne hatte. Er war unerwünscht, denn seine Frau war Jüdin.

Wegen der Herkunft seiner Frau, wohl auch aus politischer Neigung, hatte er sich schon seit längerem um eine Auslands-Position in der Sowjetunion bemüht. Er erhielt 1934 eine ausgezeichnete Stelle am Staatlichen Karpov-Institut für Physikalische Chemie in Moskau. Dort untersuchte er sowohl schwächere Wechselwirkungen als auch elementare Reaktionskinetik. Er erarbeitete die Grundlagen der Pseudopotentialmethode für Moleküle und Festkörper unter dem Namen "Kombiniertes Näherungsverfahren" (C.R. Acad. Sci. URSS 1934, 4:444, Acta Physicochim. URSS 1935, 1:913; 1936, 4:225, 5:324; J. Chem. Phys. 1935, 3:61; 1936, 4:324). Des weiteren publizierte er quantenchemische Artikel für "Normalchemiker" wie für naturwissenschaftlich interessierte Laien. Seine Hauptleistung in Moskau war die Fertigstellung des Manuskripts zum ersten Lehrbuch über Quantenchemie, publiziert unter dem Namen "Kvantovaja Khimija" Anfang 1937. Den Namen "Quantenchemie" für die neuentstehende Wissenschaft hatte der österreichische Physiker Arthur Haas schon 1929 kreiert. Eine kompaktere, überarbeitete Ausgabe des Lehrbuchs in Deutsch kam noch Ende 1937 bei Deuticke heraus. In der Zeit des "Großen Terrors" 1937/8 (vgl. S. Courtois et al., "Das Schwarzbuch des Kommunismus", Piper 1998) verschwand Hellmann. Er wurde im Alter von 34 Jahren liquidiert. Sein Todestag ist der 29. Mai 1938. Sein Sohn, Dipl.-Ing. Hans Hellmann jr., durfte erst 1991 aus Russland ausreisen und lebt jetzt in Siegen.

Eine ausführliche Bio- und Bibliographie Hellmanns erschien im Bunsen-Magazin 1999, (1) 10-21, (2) 60-70 (ISSN 0005-9021). Sonderdrucke können angefordert werden bei schwarz@chemie.uni-siegen.de .